Theaterkasse
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Europa-Trilogie, Teil II
Von Anne Habermehl
Woher kommen die blinden Flecken in unseren Familiengeschichten? — „Wir sind ein Volk aus Psychopathen, auf die jetzt andere Völker aufpassen müssen.“
Mannheim-Ludwigshafen, Ende der vierziger Jahre: Der Weltkrieg ist vorbei, die Bomben sind gefallen, und Frau Schmidt fragt sich, welchen Mann sie nach einem „zivilen Einsatz“ als Ingenieur in der Ukraine 1944 eigentlich zurückbekommen hat? Er kann nicht reden, aber er kann auch nicht schweigen. Anne Habermehl beobachtet zehn Jahre familiärer Überlebens- und Rekonstruktionsversuche in der amerikanischen Zone: Vater, Mutter, Kind – und die westdeutsche Demokratiebildung. Parallel lässt die Autorin in ihrem Stück eine zweite Familie Schmidt – zweiundsiebzig Jahre später – wieder in die Ukraine blicken: 2022 greift Russland die Ukraine an und unterbricht die Suche der Schmidts nach der Herkunft ihres ukrainischen Adoptivsohnes, dessen Ursprung sie seit 1990 verschwiegen haben.
Woher rühren die blinden Flecken in den Familiengeschichten, haben sie ein System? Welche Narrationen werden gelöscht, damit das (westdeutsche) Leben in Frieden und Freiheit weiter gedeihen kann?
Im zweiten Teil ihrer Europa-Trilogie kehrt Anne Habermehl den Blick um: Nach „Frau Schmidt fährt über die Oder“ schaut ihre Protagonistin dieses Mal nicht vom Osten in eine Zukunft im Westen, stattdessen blickt sie vom tiefen Westen gen Osten, erforscht die verschwiegene Vergangenheit. In Habermehls Stücken wird Geschichte fassbar und poetisch lebendig.
„Hier beweist sie ein sicheres Gefühl für Tempo und Rhythmus, sie setzt wirkungsvolle Pausen und hat Sinn für die kleinen Gesten.“
„Anne Habermehl trifft mit unerbittlichem Realismus das gesellschaftliche Klima vor allem nach dem Krieg.“
„Wie für eine sorgfältige Akkupunktur setzt sie Nadelstiche in die Gemüter des Publikums, trifft neuralgische Punkte, löst Impulse aus. […] Auf diese Weise geheimnisvoll bezaubert sitzt man im Theater selbst an nasskalten Abenden besser als bei jeder Streaming-Orgie vor dem heimischen Bildschirm.“
„Das intensive Spiel aller Darsteller*innen und die geschickte Spiegelung des Schweigens und der Traumata durch die Zeiten lassen hier gelingen, was beim ersten Teil Ansatz blieb: das Bild einer Gesellschaft zu zeichnen, die viele Utopien und Chancen auf Veränderung verpasst hat, auf die Asche der Vergangenheit neue Asche häuft.“