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von Tobias Schuster
Wolfram Lotz’ jüngster Text „Die Politiker“ ist sicher sein bisher formal radikalstes Werk. Noch entschiedener als in früheren Stücken bricht er vollends mit jeder dramatischen Konvention. Wie ein Langgedicht bündelt sein „Sprechtext“, wie seine Genrebezeichnung lakonisch lautet, einen Strom des fast manischen Nachdenkens, des meditativen Kreisens um die Frage, wer oder was das sein könnte – diese im Wortsinn unmögliche Spezies: „die“ Politiker. Im schieren Sprechakt liegt schon Gewalt, weil er die Disparatheit und Diversität dieser Gruppe negiert. Zusätzlich dazu verkennt er, dass in einer Demokratie letztlich jedem Menschen die Verantwortung zukommt, sich als politisches Wesen – mithin quasi als „Politiker*in“ zu verstehen. Damit ergeben sich schon aus dem Titel des Stücks zwei wesentliche Themenfelder: einerseits die Frage nach der Gewalt, die durch gesellschaftliche Zuschreibungen ausgeübt wird. Andererseits die Frage nach der individuellen Verantwortung, die jeder einzelnen Person der eigenen Umgebung wie auch dem Gemeinwesen gegenüber zuwächst – und die sich nicht durch ein Lamentieren über die Unzulänglichkeiten der „Politiker“ wegschieben lässt.
Formal und gedanklich knüpft Lotz an seine Konzeption des „Unmöglichen Theaters“ an. Im Anhang seines ersten Stücks „Der große Marsch“ fügte er sein poetologisches Manifest „Die Rede zum unmöglichen Theater“ bei. In diesem Text fordert er energisch, das Theater als eine Kunstform zu begreifen, die Alternativen zur Wirklichkeit formuliert und durchdenkt, anstatt sich im Versuch einer Abbildung von Realität zu erschöpfen. Die Fiktion müsse die Wirklichkeit bestimmen und nicht umgekehrt. In „Der große Marsch“ geht es davon ausgehend auch darum, das Theater mit verschiedenen, unerfüllbaren Aufgaben zu konfrontieren: etwa, dass in jeder Vorstellung der Autor in Person samt seiner Mutter sowie der leibhaftige Prometheus auftreten müssen. Andererseits spielt er verschiedene Modi des Aufbegehrens gegen politische Machtstrukturen durch. Schlussendlich kommt dann der Terrorist Lewis Payne nach einem Attentat auf den amerikanischen Präsidenten auf den Gedanken, dass alles Aufbegehren gegen Machtstrukturen nichts nützt, solange der Mensch der Biologie unterworfen bleibt, weil er sterblich sei. Insofern steht in der letzten Konsequenz die Abschaffung des biologischen Todes als zentrale Forderung des „Unmöglichen Theaters“: Das ewige Leben als radikalste Alternative zur bestehenden Wirklichkeit.
Die Gedankenspiele über eine Befreiung von der Biologie treibt Lotz in „Einige Nachrichten an das All“ weiter, in dem die zwei fast an Beckett erinnernden Figuren Lum und Purl nicht die Hoffnung aufgeben, gemeinsam auf biologischem Wege ein Kind zu zeugen, obwohl sie beide männlich sind.
Wolfram Lotz ist das Gegenteil eines Vielschreibers: obwohl er seit 2010 zu den gefragtesten Autor*innen des deutschsprachigen Theaterbetriebs gehört, veröffentlichte er lediglich drei weitere Theaterstücke und sagte konsequent alle Angebote für Auftragswerke ab. Er ist ein Autor, der immer wieder neu mit der eigenen Erwartungshaltung, dem eigenen Anspruch ringt, für jeden Gegenstand die spezifische Form und Sprache zu finden. Ab 2017 zog sich Lotz zu einem Schreibprojekt der besonderen Weise zurück: Mit seiner Familie ging er in ein elsässisches Dorf und entschied sich, in dieser Situation des Rückzugs und der Einsamkeit ein Jahr lang akribisch ein Tagebuch zu führen, in dem er über „alles“ nachdachte – im wahrsten Sinne des Wortes: von seinem eigenen, zunehmend verzweifelten Ringen mit der Frage des eigenen Schreibens bis hin zur Erscheinung einer Katze am frühen Morgen. Nach diesem Jahr vernichtete er den größten Teil seines über 2000 Seiten umfassenden Textkonvoluts mit dem nicht gerade kleinmütigen Titel „Die Heilige Schrift“. Parallel zu diesem gigantomanen Schreibprojekt entstand auch „Die Politiker“. Der Text hat in der Gedankenwelt viel mit dem Tagebuch-Projekt zu tun. „Die Politiker“ beschäftigt sich mit dem starken Gefühl der Einsamkeit und folgt dem Gedankenstrom eines lyrischen Ichs durch eine schlaflose Nacht – nahezu mantraartig kreist es „die Politiker“ gedanklich ein und stellt dabei fast dadaistische Bilder neben solche von großer Brutalität. Immer wieder kommt die Frage der eigenen Verbindung zur Außenwelt aufs Tapet. Wie lässt sich im Schreiben Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen, wie generell der Kontakt zu Familie und Freunden halten? Wie überhaupt das Tal der Finsternis verlassen, in welches das Ich geraten ist?
Porträt von Wolfram Lotz zur Entstehung von Die Politiker.
Regisseurin Felicitas Brucker verteilt den Text auf drei Schauspieler*innen und legt ihre Inszenierung radikal musikalisch an. Im Raum von Viva Schudt, der zunächst drei von Luis August Krawen videoanimierte Zimmer nebeneinanderstellt, halten sich die drei Performenden auf. Sie sprechen alle simultan den gesamten Text, nur über Licht und Ton wird jeweils der Fokus auf eines der Zimmer gelegt. Subtil repräsentieren sie unterschiedliche Fährten, die in Lotz‘ Text im Hinblick darauf angelegt sind, wie Auswege aus der Isolation, der Depression aussehen könnten. Ist es die Implosion im Suizid, ist es die Explosion in der Gewalt oder bleibt das Erzählen, die Verarbeitung in der Literatur als Ausweg? In Bruckers Inszenierung blitzen in einer sehr musikalisch performativen Grundanlage immer wieder Fragmente unterschiedlicher Figuren auf, bis sich der Abend in ein offeneres, sprech-perfomatives Setting weitet, und doch gleichzeitig einen Einblick zu erlauben scheint in ein mit sich selbst ringendes Ich.
Wolfram Lotz im Interview
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