MK:

Die Eigensinnige

Wohin gehen wir so unsicheren Schrittes?

Annette Paulmann ist nach Stationen am Thalia Theater
und am Burgtheater Wien seit 2002 im Ensemble
der Münchner Kammerspiele. Sie prägt das Gesicht
der Kammerspiele seit vielen Jahren und erfindet sich immer wieder neu.

Annette

Ich gehöre zu den geburtenstarken Jahrgängen, der sogenannten „Babyboomer-Generation“, und im Grunde genommen bedeutet man mir seit meiner Einschulung, dass ich zu viel bin. Auf den wenigen Klassenfotos, die es von mir gibt, stehe ich immer in der hintersten Reihe und schaue äußerst verdrossen, geradezu missmutig in die Kamera – oder knapp daneben. Das wollte ich aufgreifen, als man mich bat, für „Die Zukünftigen“ in die Kamera zu lächeln – oder knapp daneben.

Als ich das fertige Foto sah, war ich doch etwas erschrocken: Was bei mir als Kind noch irgendwie niedlich oder lustig aussah, wirkte jetzt geradezu bedrohlich. Will ich wirklich dieses Foto von mir veröffentlicht sehen?

Ich war unsicher – wieder einmal in meinem Leben.

Und wo ich sonst meine sehr coole Omma gedanklich aufgesucht hätte, da fallen mir jetzt immer häufiger die Ladies der Boheme ein… und Bingo!

„Ich werde bösartig in einem täglichen Einerlei“, spricht Marietta di Monaco mir aus dem Herzen. Oder Emmy Hennings, die sagt: „Ich habe im Grunde eine unbesiegbare Aversion gegen jedes System und keine Lust, mich einem anderen Gesetz unterzuordnen als dem heiligen Eigensinn.“ Ich bewundere und feiere diese Frauen!! Die sich, obwohl Kinder, Krankheit, Gewalt, Gefängnis, Armut und, ja, auch Alkohol sie immer wieder ausgebremst haben, stets ihrem Künstlertum verpflichtet gefühlt haben. Die haben keine halben Sachen gemacht, sondern volle Kraft voraus, getreu dem Motto: „Nachts tanze und schreie ich durch die Straßen!“ (M. di Monaco)

Und da komme ich auf mein Foto zurück: Nein, der Blick von mir ist keine Drohung, war er schon als Kind nicht, sondern die klare Ansage, wie Franziska zu Reventlow sie schon gemacht hat: „Alles möchte ich immer! Macht, was ihr wollt. Ich gehe jetzt!“ Zu meiner neuen Bezugsgruppe, denn das sind nicht mehr die „Babyboomer“, sondern: „Die Zukünftigen“.