Theaterkasse
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Ein kommentiertes griechisch-türkisches Freundschaftsspiel, eine musikalische Lecture-Performance
Von Tuncay Acar und Costas Gianacacos
Eine musikalische Lecture-Performance bietet Platz für Austausch und Solidarität
Das türkisch-griechische Verhältnis ist geprägt von einer reichen gemeinsamen Kultur — aber auch von traurigen politischen Prozessen. Der Brand der Metropole Smyrna/Izmir an der anatolischen Westküste im September 1922 bedeutete Tod, Vertreibung und Leid für fast 2 Millionen Menschen und prägt deren Nachfahren bis heute. Dies mündete in die Gründung der Türkischen Republik, die im Jahr 2023 ihren hundertsten Geburtstag feiert. Mit den Anwerbeabkommen Anfang der sechziger Jahre kamen tausende Griech*innen und Türk*innen nach München. Nach offiziellen Zahlen leben in München ca. 38.000 türkische und 27.000 griechische Staatsbürger*innen. Inklusive derjenigen, die mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben, dürfte die Zahl der türkisch-/griechisch-stämmigen Bürger*innen noch wesentlich höher liegen. Man geht von 8 - 9 % der Stadtbevölkerung aus, die türkischen oder griechischen Hintergrund haben. Das Zusammenleben dieser Menschen ist in München geprägt von Kooperation und einem lebendigen Miteinander, was hinsichtlich der bewegten und teilweise tragischen Geschichte, die diese Völker verbindet, nicht selbstverständlich erscheint.
Dies wollen die Münchner Künstler Costas Gianacacos und Tuncay Acar nutzen. Sie entwickeln „Biz - Wir - εμείς (Emeis)” - eine musikalische Lecture-Performance, welche die historischen Ereignisse und ihre Folgen für die Gegenwart verständlich macht und Narrative neu formuliert.
Welche konkreten historischen Geschehnisse sind gemeint? Sie sind zahlreich und erstrecken sich zeitlich über das letzte Jahrhundert und ereigneten sich geographisch in einer Region, die vom Balkan, über das griechische Festland, das Mittelmeer bis an die Grenze zwischen Anatolien und dem Nahen Osten reicht. Das zentrale Thema dieses Projektes markiert gleichzeitig auch einen markanten Wendepunkt in der neuzeitlichen Geschichte Europas: der berüchtigte Brand der Metropole Smyrna/Izmir an der anatolischen Westküste, deren überwiegend griechische Bevölkerung im Zuge der Kriegsvorkommnisse im Jahr 1922 fast komplett aus der Stadt getrieben wurde. In der griechischen Literatur wird dieses Ereignis immer noch als die „Kleinasiatische Katastrophe“ bezeichnet. Die Türk*innen sehen darin hingegen die endgültige Befreiung ihrer Heimat aus dem Griff der imperialen Mächte.
Das historische Verhältnis beider Völker ist tatsächlich geprägt von Krieg, Vertreibung und Rivalität. Doch sind die historischen Fakten den wenigsten Münchner*innen bewusst, denn diese Spannungen treten im Alltag der Stadt kaum zu Tage. In München herrscht bekanntlich ein gutes Verhältnis zwischen türkischstämmigen und griechischstämmigen Bürger*innen vor. Das hat seine Gründe.
Die Bayerische Landeshauptstadt war Dreh- und Angelpunkt für Ankunft und Weiterreise von hunderttausenden Gastarbeiter*innen zu Zeiten des Anwerbeabkommens. Die Arbeitsmigration brachte es mit sich, dass die Nachfahren der beiden ehemaligen Kriegsparteien sich nun in München als Kolleg*innen in ihren neuen Arbeitsstätten und als Nachbar*innen trafen. Nun hatten sie in ihrer neuen Wahlheimat die Möglichkeit, sich über ihre Erinnerungen und auch über ihre Traumata auszutauschen. Dies geschah sowohl unmittelbar im Privaten als auch auf politischer Ebene in Vereinen, Parteien und Gewerkschaften. Aber auch auf kultureller Ebene tat sich viel: So waren Griech*innen beim Aufbau der Türkischen Filmtage im Gasteig beteiligt und umgekehrt. Es gab regelmäßig stattfindende Veranstaltungen wie zum Beispiel die Tage der Türkisch-Griechischen Freundschaft. Türkisch- und griechischstämmige Musiker*innen sind es in München seit Jahren gewohnt, gemeinsam aufzutreten und die gemeinsamen Volkslieder in beiden Sprachen aufzuführen.
Trotzdem begleiten viele Münchner*innen mit griechischer oder türkischer Abstammung die Traumata ihrer Vorfahren bis zum heutigen Tag. Mit ihnen umzugehen ist gar nicht so leicht, wie es oft scheint. Nationalidentitäre Umfelder bieten mit einseitigen Sichtweisen leider den scheinbar einfachsten Weg. Auch haben viele Vertreter*innen der deutschen Mehrheitsgesellschaft wenig Ahnung darüber, welche Rolle die zentraleuropäischen Mächte und vor allem Deutschland im historischen Prozess gespielt haben.
Dieses Projekt von Costas Gianacacos und Tuncay Acar will die vorherrschende vertrauensvolle Basis nutzen, um im gemeinsamen Miteinander einen Schritt weiter zu gehen. Die schmerzlichen Themen der gemeinsamen Geschichte werden performativ beleuchtet. „Biz - Wir – εμείς“ versucht, eine Möglichkeit eines gemeinsamen Erinnerns zu schaffen. Vielleicht entsteht eine Erzählung, die in die Zukunft weist und sich mutig mit allen vorhandenen Perspektiven beschäftigt, sie ernst nimmt und ehrlich nebeneinanderstellt.
Es soll hier nicht um eine politische oder historische Verurteilung von Nationen, Personen oder Bevölkerungsgruppen gehen, sondern lediglich um den Versuch, kollektive und individuelle Erinnerungen und Traumata zu verarbeiten, zu archivieren und emotional greifbar und verwaltbar zu machen - sowohl für die hiesige Mehrheitsgesellschaft als auch für die griechisch- und türkischstämmigen Menschen selbst.