Theaterkasse
Maximilianstraße 26-28
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Das Theaterstück „Katzelmacher“ wurde 1968 am Münchener Action-Theater uraufgeführt in der Regie des Autors Rainer Werner Fassbinder selbst, zusammen mit dem Komponisten Peer Raben. 1969 gelang Fassbinder mit dem gleichnamigen Film der künstlerische Durchbruch, wobei bereits das Theaterstück aus sehr kurzen Dialogabfolgen besteht, zwischen denen schnell geschnitten wird.
Die Handlung von „Katzelmacher” ist schnell erzählt: Das Stück verfolgt eine Gruppe von neun jungen Erwachsenen in der bayrischen Provinz und ihren rassistischen Umgang mit dem Griechen und Gastarbeiter Jorgos – heute würde man Arbeitsmigrant sagen – der neu zu ihnen stößt. Die Gruppe: Erich und Marie, die eine Beziehung miteinander führen, Paul und Helga, ebenfalls ein Paar, Elisabeth und Bruno, wobei Bruno bei Elisabeth arbeitet. Außerdem gibt es Gunda, die von allen gehänselt wird, und Franz, der für Geld Sex mit Ingrid hat, welche von einer Gesangskarriere anderswo träumt. Von Anfang an ist das Verhalten der Gruppe untereinander von Gewalt und Abwertung geprägt, ihre Beziehungen befinden sich vor allem auf sexueller Ebene in einer Art labilen Gleichgewicht. Jorgos´ Auftauchen bringt das Beziehungsgeflecht durcheinander und ihr bereits von Anfang an veräußerter Rassismus steigert sich. Da Jorgos bei Elisabeth Plattner arbeitet, wird er bei Bruno im Zimmer einquartiert. Marie wendet sich von Erich ab und richtet ihre Liebe und Sehnsüchte auf Jorgos, auch die anderen Frauen entwickeln Fantasien mit ihm, die Männer erleben ihn als Konkurrenz. Sie alle bauen ihre Vorurteile aus und spinnen immer mehr Gerüchte um ihn: Jorgos wird Vergewaltigung vorgeworfen, er sei Kommunist, er stinke und wasche sich nicht, er wird auf seinen Körper reduziert. Die Gewaltfantasien an Jorgos steigern sich, bis er schließlich zusammengeschlagen wird. Dabei wird die Figur des Jorgos bei Fassbinder auch ambivalent beschrieben, da er Marie im Ungewissen lässt über seine Frau und Kinder in Griechenland – und am Ende seine Arbeitgeberin Elisabeth Plattner verlässt, als er erfährt, dass noch eine weitere Arbeitskraft kommen soll, nämlich ein Türke.
Fassbinder setzte sich intensiv mit der Behandlung der Sprache auseinander (wobei er sich an Marieluise Fleißer orientierte, die er bewunderte). „Katzelmacher” ist in stilisiertem Dialekt, komprimierter Sprache und milieuhafter Authentizität geschrieben. Die Sprache scheint einerseits alltäglich, andererseits ist sie sehr manieristisch. Aussparungen und Fülle stehen nebeneinander: in dieser Konstruiertheit zeigt sich der Zweifel an der Sprache als Transfer der Wirklichkeit. In Fassbinders Augen sind die Figuren Opfer und Agent*innen der Sprache.
„Ich wünsche mir ein Theater der Sprachlosigkeit und der Sprache.“
Mit Erlaubnis des Verlags der Autoren war es dem Regisseur Emre Akal und dem künstlerischen Team möglich, einige Eingriffe in den Originaltext vorzunehmen. Neben Kürzungen und Umstellungen betrifft das vor allem die Texte der Figur des Jorgos, welche gestrichen wurden. Sein Auftreten als „Gastarbeiter“, als „Grieche“, als eine Figur, die bruchstückhaft deutsch spricht und manchmal einzelne griechische Sätze, verschiebt sich in der Inszenierung zu einer Figur des „Anderen“, zu einer noch stärkeren Projektionsfläche für die Gruppe und für die Zuschauenden. Denn natürlich stellen sich Fragen an Reproduktion und Repräsentation: Wie zeigt man einen „Gastarbeiter“, einen „Griechen“, einen vermeintlich „Fremden“? Dieses vermeintlich Andere und Fremde wird durch die Gruppe konstruiert, die es als solches beschreibt. Des Weiteren wurden einige der Figuren zusammengelegt: Das betrifft die Figuren Helga und Gunda, Bruno und Franz sowie Elisabeth und Ingrid. Die größten dramaturgischen Eingriffe beziehen sich auf den Anfang und das Ende des Theatertextes. Die – ohnehin sehr knappe – Exposition der Gruppe vor dem Auftauchen von Jorgos wurde gestrichen, ebenfalls das Ende, das den Rassismus der Jorgos-Figur gegen einen „neuen Fremden“ am Ende des Fassbinder-Textes artikuliert.
Was heißt es, diesen Text in der aktuellen politischen Situation auf die Bühne zu bringen, dessen Darstellung der rassistischen Reaktionen einer Gruppe auf das Ankommen eines „Ausländers“ oft auch als die Ausläufer der vermeintlichen Störung einer bestehenden Dynamik in der Gruppe interpretiert wird? Reaktionen, die sich schließlich „entladen“? Die Gruppe bedient sich von Anfang an einer rassistischen und abwertenden Sprache, die auf etwas strukturelles verweist: „Fremdarbeiter” (zivile Zwangsarbeiter im Nationalsozialismus), „Katzelmacher” (abwertende Bezeichnung für „Gastarbeiter”, meist aus Italien), und auch der Begriff „Gastarbeiter” gilt heute als fragwürdig, da er suggeriert, dass die Menschen wieder zurückkehren sollten und ihren Beitrag mindert.
Die Inszenierung von Emre Akal begreift den Text wie eine eigene Figur: die Sprache als Katalysator ihrer selbst. Über Sprache werden Feindbilder konstruiert, eine Lüge macht den Weg frei für weitere Lügen. Diese Phänomene beschrieb auch Theodor W. Adorno 1967 in seinem Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“, indem er das Produzieren von Propaganda nicht bloß als Mittel, sondern als Substanz rechtsradikaler Politik benannte, die Verwendung von Falschinformationen zum Aufbau der eigenen Autorität und eine Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses nach rechts durch ein ständiges Ausreizen des öffentlich Sagbaren. Die Sprache schafft Wirklichkeit und verzerrt zugleich den Umgang mit ihr – eine Strategie, die aktuell häufig von der Neuen Rechten und Rechtspopulisten bewusst genutzt wird. Manchmal wird diese Art zu Sprechen dann plötzlich auch vom eigenen nahen Umfeld übernommen.
Emre Akal versetzt den Stoff von „Katzelmacher” in ein bildstarkes alptraumhaftes Setting und spürt den Mechanismen dieser disparaten Gesellschaft sowie ihren Wiedergängern in der Gegenwart und Zukunft nach. Gemeinsam mit dem Künstler-Duo Mehmet & Kazim entwirft er assoziative künstliche Welten, in denen analoge und digitale Mittel zu einer eigenen Illusion verschwimmen. Moralisierend möchte dieser Blick nicht sein, vielmehr sieht er mit schwarzem Humor auf die Abgründigkeit dieser Gesellschaft. Kann dabei ein selbst verfasster Epilog eine andere Perspektive öffnen?
Hannah Baumann
Lesen Sie hier mehr zu Strategien der Neuen Rechten um Sprache, Diskurse und die Grenzen des Sagbaren zu verschieben.
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