Theaterkasse
Maximilianstraße 26-28
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theaterkasse@kammerspiele.de
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Von Olivia Ebert und Caroline Schlockwerder
Wir empfinden unsere Wirklichkeit häufig als bedrohlich und unergründlich, als „kafkaesk“. Zugleich verstellt uns die Vorannahme des Unergründlichen in Kafkas Erzählungen leicht den Blick dafür, dass er versuchte etwas Wahres und Allgemeingültiges über die Wirklichkeit auszudrücken. Auch mit der Geschichte des jungen Karl Roßmann, der von Prag nach Nordamerika verbannt wird, ist nicht nur das Schicksal eines Einzelnen beschrieben. Gemeinsam mit Karl blicken wir auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen im „allermodernsten New Jork“, sehen das Land durch die Augen eines 17-Jährigen, der seine Heimat und seine Eltern zurücklassen musste und sein Glück zu finden versucht. Karl erlebt klaustrophobische, märchenhafte, phantasmagorische Situationen vor dem Hintergrund der realen Erfahrungen von Heimat- und Identitätsverlust, Isolation, Armut und Entfremdung europäischer Emigranten in den USA um 1910. Nach seiner Fahrt über den Atlantik trifft er auf Menschen aller sozialen Schichten, wird Zeuge von extremem Reichtum und extremer Armut, von Arbeitskämpfen und politischen Versammlungen.
… demonstrierende Metallarbeiter, dunklere, dumpf hallende Gassen, angefüllt mit einer in winzigen Schritten sich bewegenden Masse. Ihr Gesang einheitlicher, als der einer einzigen Menschenstimme …
Karl begegnet den Unwägbarkeiten der Realität, geprägt von sozialen Ungerechtigkeiten, verordneten Autoritäten und den Enttäuschungen, die mit dem Streben nach Erfolg verbunden sind. Der Traum vom Fortschritt – vom Ingenieur, der Karl hätte werden sollen – wird aber zum Alptraum des Verschollenen, der sich in einem Land befindet, das sowohl Verheißung als auch Falle ist. Er ist hin- und hergerissen zwischen den strengen Regeln von Autoritäten wie seinem reichen Onkel, die als Ersatzväter fungieren, und seinem Wunsch nach Emanzipation. Wie viele, die an den amerikanischen Traum glaubten, folgt Karl dem Versprechen, dass man durch Disziplin und harte Arbeit „etwas“ werden könne – doch er wird immer wieder ausgestoßen, stets an den Rand gedrängt.
… wie man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert …
Die Gründe für Karls Scheitern sind unklar und oft ungerecht. Sie entsprechen nicht unserem und nicht seinem sehr ausgeprägten eigenen Sinn für Gerechtigkeit. Und genau darin ähnelt Karls Erfahrung unseren heutigen Ohnmachtsgefühlen gegenüber einer Welt, deren Regeln wir zwar kennen, an deren Veränderbarkeit wir aber mitunter nicht mehr glauben können. Kafkas Welten sind undurchschaubarer, als es der Mensch ertragen kann. Und doch erträgt sie der Mensch – in wohl keinem anderen Text so hoffnungsvoll wie in diesem Romanfragment, an dem Kafka von 1911 bis 1914 mit mehrfacher Unterbrechung arbeitete.
Jeder Satz spricht: deute mich, und keiner will es dulden. Jeder erzwingt mit der Reaktion „So ist es“ die Frage: woher kenne ich das; das déjà vu wird in Permanenz erklärt. (Adorno, Aufzeichnungen zu Kafka)
Charlotte Sprenger und das künstlerische Team dieses Abends suchen nach eigensinnigen und spielerischen Übersetzungen für Kafkas besondere Kunst, mit unerklärlichen Situationen Déjà-vu-Effekte zu produzieren und uns im Seelenzustand seiner Figuren wiedererkennen zu lassen. Die Inszenierung transponiert die dem Amerika-Roman eigene Gleichzeitigkeit von Allegorie und soziologischem Realitätsgehalt in heutige Situationen, Figurennamen, Welten – und bleibt in der Fassung doch ganz nah am Original: Die Freiheitsstatue arbeitet als „living statue“ auf der Maximilianstraße, Senator Jakob findet einen Verwandten in Jeff Bezos, und das „Landhaus bei New York“ wird von der kunstsammelnden Familie Sackler bezogen, deren Familienunternehmen Purdue Pharma mit dem Medikament „Oxycontin“ als Mitverursacher der Opioid-Krise in den heutigen USA gilt.
Immer schwebte ihm der Gedanke daran vor Augen, es könne schließlich mit ihm, wenn er nicht fleißig sei, soweit kommen wie mit Delamarche und Robinson.
Sprenger erzählt über Kafkas Figuren immer aus einer Situation von Gesellschaft heraus: Alle sind Reisende, Verschollene, alle könnten in Karls Situation sein, oder schnell kommen, wenn sie ihre Arbeit verlieren, wenn eine in der Hierarchie über sie stehende Figur sie verstößt. Diese prekäre Suche nach einem Platz in der Gesellschaft, nach Anerkennung und Zugehörigkeit ist ein Kampf, den viele Figuren in Kafkas Romanfragment führen. In einer Welt, die uns mit Versprechungen von Individualität und Möglichkeiten lockt, bleibt – auch heute – die Gefahr des Verlorengehens bestehen. Kafkas Warnung ist aber auch ein Aufruf zur Empathie – für alle Karls, die sich in einer Welt wiederfinden, die sie nicht versteht und die sie leicht verstoßen könnte.
Zur Fassung:
Kafkas Text entstand mit Unterbrechungen zwischen 1911 und 1914 und wurde erstmals 1927, drei Jahre nach seinem Tod, durch Max Brod veröffentlicht. Die Fassung basiert auf der Kritischen Ausgabe nach Kafkas Originalmanuskript, die alle Fragmente und Kapitelanfänge dokumentiert. Insbesondere der zweite Teil der Inszenierung bewegt sich durch diese Fragmente, in die das letzte Drittel des Romans zersplittert, bevor der Text abbricht.
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