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MK:

What is Grief?

Lesen Sie hier eine kleine Sammlung an verschiedener Gedanken zum Thema „Trauer“.

Wir alle sind auf unsere eigene Art unfähig zu trauern. Trauer besteht vor allem im Umgang mit Unwägbarkeiten. Im Tanz mit der Verdrängung. In mancher Hinsicht gleichen diese Unwägbarkeiten den Wellen des Meeres. Meistens kann man gut mit den Bewegungen des Wassers, dem inneren Auf und Ab, umgehen, man lässt sich dorthin treiben, wohin die Wellen einen tragen. Dennoch gibt es Tage, an denen der Wellengang so stark ist, dass man in Not gerät und gegen das Untergehen kämpfen muss. Gegen Trauer kann man nur wenig ausrichten. Trauer ist erschöpfend, egal, ob man sich ihrem Schmerz stellt und versucht ihn durchzuarbeiten, egal, ob man ihn eisern von sich weist — es kostet immer mehr Anstrengung, mehr Energie, sich auf offener See über Wasser zu halten, als man glaubt aufbringen zu können.

Aus: Daniel Schreiber, Die Zeit der Verluste, 2023

Es geht nicht um den Verlust, um die Entbehrung, die sich fühlbar macht, verbleicht und verschwindet. (…) Der Knacks ist nicht ein Riss mit Diesseits und Jenseits, mit Vorher und Nachher, er ist unmerklich: Er teilt nicht, er prägt. Er ist die Zone, in die die Erfahrung eintritt, wo sie verwittert und ihre Verneinung in sich aufnimmt. Etwas soll nicht mehr, etwas wird nicht mehr sein. Es wird sogar „nie mehr sein wie vorher“, aber nicht, weil ein Mensch fehlt, sondern weil sich ein Lebensgefühl verändert hat. Dazu braucht es nicht den Verlust, sondern das Verlieren.

Aus: Roger Willemsen, Der Knacks, 2008

Das Dilemma gesellschaftlicher Trauerpraxis besteht in den Formen der Begleitung trauernder Menschen, welche in ein Statuieren von Verpflichtungen und Tabus entgleiten können, was mitunter zu Verunsicherung bei den Trauernden selbst wie auch im sozialen Umfeld führt. Die soziale und gesellschaftliche Herausforderung liegt vor allem darin, von Konzeptauslegungen wegzukommen, die vorgeben, wie Trauer auszusehen hat und wie sich trauernde Menschen zu verhalten haben, und stattdessen eine wohlwollende Basis für Interesse und Verstehenwollen der individuellen Reaktionen, Verhaltensweisen und Strategien zu schaffen.

Aus: Peggy Steinhauser, Trauer – Zwischen Tabus und Verpflichtungen. Einige Überlegungen einer Trauerbegleierin, 2022

Vielfältig sind die Strategien, Vergangenes festzuhalten und dem Vergessen Einhalt zu gebieten. (…) Es gehört zu den zahlreichen Paradoxien, die dem Entweder- oder von Tod und Leben innewohnen, dass, indem der Verstorbene als etwas unwiederbringlich Verlorenes benannt wird, sich die Trauer über seinen Verlust zugleich verdoppelt und halbiert, wohingegen das im Unklaren liegende Schicksal eines Vermissten oder Verschollenen die Angehörigen in einem diffusen Alptraum aus banger Hoffnung und verwehrter Trauer gefangen hält, der sowohl Aufarbeitung als auch Weiterleben verhindert. Am Leben zu sein bedeutet, Verluste zu erfahren.

Aus: Judith Schalansky, Verzeichnis einiger Verluste, 2018

Alle Welt macht sich Gedanken darüber — ich spüre es —, wie tief meine Trauer ist. Doch es ist unmöglich (lächerliche, widersprüchliche Anzeichen) zu messen, wie sehr jemand getroffen ist.

Aus: Roland Barthes, Tagebuch der Trauer, 1977

Die Wehklage ist ein Raum, den jede Kultur bewohnt – manche weniger offen als andere, aber sie ist universell. Es gibt nicht die eine Form, die die Klage annimmt, ich sehe sie überall. Es gibt sie seit Anbeginn der Zeit, und sie wird uns nie verlassen – sie ist Teil der menschlichen Existenz. Die Klage ist Ausdruck von Verlust und Sehnsucht, aber ich interessiere mich auch für ihre Stärke, für die Idee, dass sie eine Demonstration der Widerstandsfähigkeit und in manchen Situationen auch ein Akt des Widerstands ist. Für mich hat die Klage diesen Kern der Stärke. Den Verlust anzuerkennen, eröffnet die Möglichkeit zu handeln oder zu wachsen.

Aus: Helen Cammock, Crying is never enough, 2019

Betrauerbar sein heißt angesprochen sein auf eine Weise, die mich wissen lässt, dass mein Leben zählt, dass sein Verlust nicht bedeutungslos ist, dass mein Körper als einer behandelt wird, der zu leben und zu gedeihen im Stande sein sollte und dessen Prekarität so gering wie nur möglich sein sollte, wofür auch förderliche Bedingungen gegeben sein sollten.

Aus: Judith Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 2021