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MK:

Klaus Mann an Emmy Göring, April 1935

"Es ist dunkel geworden, Sie sind einsam in Ihrem schönen Palais. Erscheinen Ihnen da nicht Gespenster?”

Klaus Mann an Emmy Sonnemann-Göring, Schauspielerin am Preußischen Staatstheater und die 2. Ehefrau von Hermann Göring.

Sehr verehrte Frau Ministerpräsident,

leider hatte ich niemals die Gelegenheit, Sie auf der Bühne zu bewundern. In die kleine Stadt, wo Sie früher spielten, kam ich selten, und als Sie nach Berlin verpflichtet wurden, fand ich es dort schon nicht mehr gemütlich. Ich bin also nicht im Stande, Ihnen Komplimente über Ihre schauspielerischen Leistungen zu machen. Jedoch, ohne Sie gesehen zu haben, besitze ich, sehr geehrte Frau Flugwesenminister, einen sehr lebendigen Eindruck von Ihnen. Wir haben gemeinsame Bekannte, man hat mir viel von Ihnen erzählt. Sie genießen einen guten Ruf in Künstlerkreisen. Man versichert mir, Sie sind eine gutmütige und fein empfindende Person. Ich glaube das gerne. Gutmütig – heißt es bei Schiller, mit dem Sie Ihre Vergangenheit ja vertraut gemacht hat – gutmütig sind sie alle…

Nun haben Sie sich ja freilich hoch überhoben über die Künstlerkreise, in denen so viel freundlicher Klatsch über Sie umging. Himmel, was haben Sie für eine Karriere gemacht! Alle Primadonnen der alten und neuen Welt können zerplatzen vor Neid! So was hat keine erreicht. Der legendenumwobene Herr Gemahl nennt mehr Titel sein eigen, als weiland der König von Frankreich. Gewiss verwöhnt er Sie aufs allerreizendste – die Welt weiß ja, was er Ihnen schon alles geschenkt hat und was es kostet.

Zu jeder neuen Uniform, die er sich schneidern lässt, schenkt er Ihnen ein Abendkleid, in dazu passender Farbe. Das muss doch Spaß machen! Und diese Hochzeit! Plötzlich erleben wir wie ein Land, das sonst Geld, das ihm nicht gehört, für gediegene Zwecke, wie Kriegsvorbereitungen und Auslandspropaganda ausgibt, recht erhebliche Summen auf Blumenregen und feinstes Essen. Der einfallsreiche Herr Gemahl landete vor Ihrem Schlafzimmer, ein klirrender Lohengrin in einem hochmodernen Schwan. Und was für Hochzeitsgäste Sie hatten – sämtliche “alte Mitkämpfer”, die ihr flotter Gatte noch nicht hat umbringen lassen, waren darunter. Mitkämpfer Kerrl und Mitkämpfer Streicher überboten sich in harmlosen Witzigkeiten. So viel zu lachen gab es nie im Provinztheater! Ihr gutmütiges Herz, Frau Jagdministerin, wird jubiliert haben den ganzen Tag. Die ganze Welt schaut auf Sie und Ihr junges Glück – vielleicht mit gemischten Gefühlen, aber Sie schauen doch. Waren Sie da glücklich, Frau Landesmutter?

Es ist dies die Frage, die ich Ihnenvor allem stellen wollte. Psychologisch. Neugierde ist eine angeborene Eigenschaft – das wird man nicht los. Ihr glanzvoller Fall aber, Frau Staatsrat, wirkt aus psychologischer Neugierde ganz besonders. Sind Sie glücklich? Hand aufs deutsche Herz, Frau Generalin, sind Sie eine glückliche Frau?

Gibt es nichts, was Sie stört? Hat Ihr klirrender Lohengrin derartig starken Reiz, dass er Sie alle vergessen macht, worum das gutmütige Herz seiner blonden Dame sonst Anstoß nehmen könnte? – Ihre verklatschten Kollegen von ehemals erzählen, dass Sie “Nichtarierin” sind. Wie dem auch sei – : unsereiner interessiert ja das nicht sehr – : aber ist Ihnen nicht ein bisschen sonderbar zu Mute zuweilen, als Sie einen besonders hitzigen Gesellen aus dem Freundeskreis Ihres galanten Gatten, dem Frankenführer Streicher während des Festes im Opernhaus die Hand schütteln müssen? Sie wissen doch, was der alles angestellt hat? Stinken seine Hände dann nicht? Doch, sie stinken.

Der ganze Pomp, mit dem man Ihre Hochzeit ins Komische zog – die Hochzeit einer nicht mehr ganz jungen Dame mit dem dickbäuchigen Witwer, der seit Jahren Ihr Freund war –, das haben Sie wohl als Staatsraison empfunden? (“Spiele fürs Volk”: wenn er schon einmal kein Blut fließen sieht, dann doch roten Champagner!) Aber haben Sie denn nicht die Beleidigung empfunden, die Ihr Hermann Ihnen zufügte, gerade am Tage Ihrer Hochzeit? Ich meine nicht die Geschichte mit der Sonnenmann-Straße im Frankfurt am Main, dessen Namen geändert wurde. Für diesen Schwank gab es vielleicht gute Gründen. Ich meine vielmehr die schauerliche Tatsache, dass die Gesellschaft, in die Sie hineingeheiratet haben, zwei Menschen hinrichten ließ, eben während Sie zur Trauung schritten – zwei Menschen, die in der Nähe waren, als im Verlauf eines Zuhälterzankes jemand erschossen wurde. Über die kam das Beil, während der Kerrl so launig war und der General des nächsten Weltkrieges Sie mit der Minna von Barnhelm verglich. Glauben Sie denn wirklich, Minna hätte diese Schmach geduldet? Wie schämt sich Lessing ob dieses unverschämten Vergleichs. Aber schämt sich nicht ihr “mütterliches” Herz?

Hat es nicht auch sonst tausendfachen Anlass, zusammenzuziehen und sich nie mehr zu beruhigen? Ekeln Sie sich denn nie? Und wenn Sie sich schon nicht ekeln: haben Sie niemals Angst? Es kommen doch die Stunden, da Sie alleine sind – es ist ja nicht immer Hochzeitsrummel und nicht jeden Abend großes Dinner. Der dicke Herr General ist unterwegs: Er sitzt vielleicht in seinem Büro und unterschreibt Todesurteile, oder er inspiziert Bombenflugzeuge. Es ist dunkel geworden, Sie sind einsam in Ihrem schönen Palais. Erscheinen Ihnen da nicht Gespenster?

Treten hinter den üppigen Portieren nicht die Erschlagenen aus den Konzentrationslagern hervor, die zu Tode Geschundenen, die auf der Flucht Erschossenen, die Selbstmörder? Erscheint nicht ein blutiges Haupt? Es ist vielleicht Erich Mühsam – ein Dichter, und es war doch ihr Beruf, Dichterworte zu sprechen, ehe Sie die Mutter eines verdammten Landes wurden, das von seinen Dichtern die Mutigen totschlägt oder verbannt. Oder es ist Ossietzky – er sieht schrecklich zugerichtet aus, und das nur, weil er sich zum Frieden bekannte – in seinen frechsten Augenblicken spricht ja Ihr geschmückter Herr Gemahl noch vom Frieden. Und wenn von Frauenehre die Rede ist, denken Sie da nicht an die Arbeiterfrauen und an die Pazifistinnen, die man verspottet und geschlagen hat? Oder an die Selbstmörderinnen von London? Finden Sie, verehrte Künstlerin, dass Ehre nur jene bestialiasche Turnlehrerinnen verdienen, die man zur Beihilfe an Morden ins Ausland verschickt, wie unlängst im Fall Formis?

Gelingt es Ihren Gedanken – die erzogen sein sollten an den deutschen Klassikern, aber wohl schon verdorben sind durch eine neudeutsche Ethik – gelingt es ihnen denn, sich fern zu halten von all dem? Spielen Ihre Figuren so ganz unbekümmert mit den Juwelen, die der Märchengatte Ihnen geschenkt hat? Schmerzt Sie das Diadem für 40 000 RM nicht in der bloden Frisur? Lady Milford warf ihre Juwelen hin, als sie erkannte, womit sie bezahlt waren. Aber vielleicht ist die Milford nicht ihr Fach…

Und wenn Sie schon unempfindlich sind gegen das arge Gesicht der Gespenster: stellen sie sich nicht vor, dass auch einmal Lebende in die Räume Ihres Schlosses stürmen könnten? Aber die plaudern dann keine Scherzreden mehr. Was werden Sie antworten, Schauspielerin Sonnemann, wenn man auch Sie zur Verantwortung zieht – auch Sie, da Sie sich ja zur Mitschuldigen machen: Dann berufen Sie sich vergeblich auf ihr gutmütiges und feinsinniges Herz.

Sie haben es jetzt gar zu sehr zum Schweigen gebracht. Sie haben sich verdammt gut verstellt, Schauspielerin, Sie gleichen aufs Haar einer jener gewissenlosen Personen, die wir aus den Stücken der Klassiker kennen: für eine Handvoll Edelsteine, für einen schönen Namen und ein schönes Kleid vergessen Sie alles, über Sie alles, lassen das Ärgste geschehen und sind am Ende nicht besser und werden am Schluss nicht weniger gehasst als ihr mörderischer Gemahl.