Theaterkasse
Maximilianstraße 26-28
Mo-Sa: 11:00 – 19:00
+49 (0)89 / 233 966 00
theaterkasse@kammerspiele.de
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„Die wichtigste Begegnung eines Menschen ist die mit sich selbst“
Als Henrik Ibsens „Baumeister Solness“ 1892 uraufgeführt wird, steht er, wie seine neue Hauptfigur Halvard Solness, im Zenit seines Erfolges. Nach 27 Jahren im Exil war er gerade als weltweit gefeierter, künstlerisch wie kommerziell extrem erfolgreicher Dramatiker nach Oslo zurückgekehrt. Verlassen hatte er Norwegen 1864 nach dem Konkurs des von ihm geleiteten Theaters in Oslo und lebte im Exil in Rom, Dresden und München. In dieser Zeit entstanden die meisten seiner heute noch bekannten Werke und vor allem eine ganze Serie von skandalträchtigen Stücken zwischen Nora (1879) und Baumeister Solness (1891), die die Abgründe bürgerlicher Familien sezierten.
Nora durfte zunächst nur mit einem entschärften Ende gespielt werden, die Darstellung einer Frau, die ihre Familie und Kinder verlässt, wurde von der Zensur nicht akzeptiert. Sein 1881 uraufgeführtes Stück „Gespenster“ zeigt eine an Syphilis leidende Figur und war ebenfalls in Europa jahrelang verboten. „Baumeister Solness“ ist seine vielleicht abgründigste Familiengeschichte – und seine persönlichste. Das Stück wurde noch während seines Aufenthalts in München konzipiert: damals wohnte er gleich in der Maximilianstraße. Die Uraufführung fand dann 1892 statt, als Ibsen wieder in Oslo lebte. Mit diesem Stück beginnt die letzte Phase in seinem Werk, in der er zurückblickt und das eigene nahende Lebensende thematisiert.
Baumeister Solness ist ein sogenanntes analytisches Drama, das heißt, wir als Publikum erfahren im Verlauf Stück für Stück mehr über die Vergangenheit der Figuren – es ist weniger äußere Handlung, die die Spannung erzeugt als die sich entblätternden Geschehnisse der Vergangenheit, die die Gegenwart bestimmen. „Baumeister Solness“ ist eine fesselnde Geschichte über Macht und Missbrauch. Das Stück skizziert die letzten Tage im Leben eines Machtmenschen. Der Baumeister hat alles erreicht. Er kennt keine Grenzen, seine Maxime: höher, schneller, weiter. Doch immer mehr erscheint ihm die nächste Generation als Bedrohung, die seine Machtposition gefährdet.
„Die glanz- und jammervolle Familie der Nervösen, sie ist das Salz der Erde.“
Eines Tages klopfen die Geister seiner Vergangenheit an die Tür. Plötzlich steht die junge Frau Hilde Wangel vor ihm. Vor zehn Jahren, so sagt Hilde, habe er sie auf einem Richtfest kennengelernt, habe sie geküsst und ihr versprochen, dass er wiederkommen und ihr „ein Königreich“ schenken würde. Genau zehn Jahre später fordert Hilde dieses Königreich ein und konfrontiert ihn. Was war damals wirklich geschehen?
Warum gibt es im Haus des kinderlosen Paares Halvard und Aline Solness zwei leerstehende Kinderzimmer? Auf welcher blutigen Grundlage fußt Solness‘ Erfolg? Ein schwindelerregender Kampf um die Deutung der Vergangenheit beginnt.
„Baumeister Solness“ ist das dramatische Porträt eines Menschen, den die Angst vor den Veränderungen seiner Gegenwart und dem Verlust von Privilegien bis in den Tod treibt. Es ist auch eine Parabel über den Menschen, der in seinem Streben nach Macht, Erfolg und Größe alles – von der Natur bis zu anderen Menschen – skrupellos unterwirft und ausbeutet.
Felicitas Brucker spitzt die analytische Erzählsituation des Stoffs gemeinsam mit der Autorin Gerhild Steinbuch noch zu. Sie lässt die Figur Solness durch sein persönliches Purgatorium gehen, durch ein Fegefeuer, in dem ihm Stationen und Figuren aus seinem Leben wiederbegegnen. Fragmenthaft, nicht chronologisch, wie Heimsuchungen.
Steinbuch eröffnet uns dabei Einblicke in die Gedankenwelt der bei Ibsen fast stummbleibenden Ehefrau Aline. Sie lässt die Kinder von Solness zu Wort kommen. Sie erzählt den Konflikt mit Solness‘ früherem Kompagnon Knut Brovik und gibt der zunehmend von Hass auf die ältere Generation geprägten Sicht des jungen Architekten Ragnar Brovik eine Stimme.
Bühnenbildnerin Viva Schudt hat einen expressiven, sich kontinuierlich verwandelnden Raum geschaffen, der keinen Realismus bedient, sondern eine surreale, alptraumhafte Welt zwischen Leben und Tod erfahrbar macht, in der Solness auf die Geister seiner Vergangenheit trifft.
Felicitas Bruckers letzte Arbeit an den Kammerspielen war „Nora“ und „Die Freiheit einer Frau“ – ein großer Erfolg, der in der Theatertreffen-Einladung für „Nora“ im Frühjahr 2023 gipfelte. Nun hat sie sich wieder der faszinierenden Welt Ibsens zugewandt und „Baumeister Solness“ zu einem geisterhaften Trip verdichtet.
Gerhild Steinbuch, 1983 in Mödling (Österreich) geboren, schreibt Texte für Sprech- und Musiktheater, Essays, Hörspiele und Prosa und arbeitet zudem als freie Dramaturgin sowie als Übersetzerin aus dem Englischen. Seit 2020 leitet sie als Professorin das Institut für Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Sie wurde unter anderem mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnet und für den Ingeborg Bachmann Preis nominiert. Sie ist Gründungsmitglied von Nazis & Goldmund, einer Autor*innenallianz gegen die Europäische Rechte.
Felicitas Brucker wurde in Stuttgart geboren und studierte Regie am Goldsmiths College in London. Nach ersten Regiearbeiten in London folgten Inszenierungen an den Münchner Kammerspielen, am Maxim Gorki Theater Berlin, Theater Freiburg, Schauspiel Hannover und am Deutschen Theater Berlin. 2009 bis 2014 war sie Hausregisseurin am Schauspielhaus Wien. Seitdem inszeniert sie regelmäßig am Schauspiel Frankfurt und seit 2020 erneut an den Münchner Kammerspielen. „Die Politiker“ von Wolfram Lotz wurde von der New York Times zu den 10 besten europäischen Theaterproduktionen 2022 gezählt. Ihre Arbeiten wurden mehrfach zu den Mülheimer Theatertagen, den Autorentheatertagen in Berlin und mit „Nora“ 2023 erstmals zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
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