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MK:

Digitales Programmheft "Les statues rêvent aussi"

Wenn Statuen träumen

Am 28. November 2017 hielt Emmanuel Macron in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, eine aufsehenerregende Rede: Er kündigte an, seine Regierung würde sich für die Rückgabe von afrikanischen Kulturgütern einsetzen. Der von ihm in Auftrag gegebene Bericht des senegalesischen Philosophen Felwine Sarr und der französischen Kunsthistorikerin Bénedicte Savoy schlug wie ein Blitz in die europäische Museumslandschaft ein. Denn schätzungsweise 90-95% der afrikanischen Kulturgüter – das sind rituelle Objekte und Kleidung, königliche Insignien, Instrumente, Werkzeuge und Alltagsgegenstände – befinden sich in den europäischen Ausstellungshallen und Depots. Gemeinsam mit dem Druck, den Aktivist*innen, Künstler*innen und die Regierungen afrikanischer Staaten seit Jahrzehnten immer wieder aufbauten, wurden 2021 und 2022 endlich auch in Deutschland erste Rückgaben ermöglicht.

Die Debatte ist kein neues Phänomen und dauert seit mindestens 70 Jahren an, in denen den vehementen Restitutionsforderungen der afrikanischen Seite immer wieder mit Verzögerung, Verleugnung, Verhinderung begegnet wurde. Dennoch gibt es keine einfachen Antworten, die Perspektiven auf beiden Seiten sind komplex: Wer sind die berechtigten Besitzer*innen der Objekte? Wie lässt sich das 100 oder 300 Jahre nach dem Raub feststellen? Wer ist für die Bewahrung verantwortlich? Wie ließe sich diese Verantwortung teilen? Und sollten die Objekte überhaupt in einem Museum, dessen heutige Form sich in Europa erst im 18. Jahrhundert ausbildete, ausgestellt werden?

“Les statues rêvent aussi. Vision einer Rückkehr” imaginiert, was eine gestohlene Statue denken und träumen könnte, während sie im Keller eines europäischen Museums wartet. Die Protagonistin des Abends ist eine von Co-Regisseur Serge Aimé Coulibaly und Puppenbauer Michael Pietsch imaginierte Statue der legendären westafrikanischen Prinzessin und Kriegerin Yennenga (ca. 12. Jhd., Dagomba-Köngreich), die als Urmutter des Mossi-Königreichs und damit des Staates Burkina Faso gilt. Zwei junge Frauen (Nancy Mensah-Offei in Westafrika, Ida Faho in München) versuchen, die Statue mit allen Mitteln zu befreien und ihr die Rückkehr nach Hause zu ermöglichen. Dazu müssen sie sie aber erst mit ihrem Pferd und damit dem anderen Teil der Statue zusammenbringen, von dem sie nach dem Raub getrennt wurde…

Mit Choreografie und der Poesie von Video und Puppenspiel sucht das Projekt nach poetischen und politischen Perspektiven, die der europäischen Besessenheit vom Besitz entgegenwirken und einen gemeinsamen Raum der Debatte zwischen Westafrika und Deutschland schaffen. Das Team aus Künstler*innen und Techniker*innen aus Burkina Faso, Togo, Senegal, Benin und der Münchner Kammerspiele erarbeitete jeden Schritt gemeinsam. Mit Serge Aimé Coulibaly und Jan-Christoph Gockel arbeiten auf der Regie-Ebene ein burkinischer Choreograf und einer der Hausregisseure der Münchner Kammerspiele erstmals zusammen. Aus dem Zusammenspiel digitaler Technik, Live-Kamera, Puppenspiel und Tanz entsteht eine eigene Ästhetik, die die Grenzen dieser Welt mit einer gemeinsamen künstlerischen Sprache überschreiten will.

Die Stückkonzeption und -entwicklung, sowie der Großteil der Proben fand mit allen Beteiligten gemeinsam in München statt. Zwei Wochen vor der Premiere teilte sich das Team auf: Serge Aimé Coulibaly setzte die Endprobenarbeit mit der Tänzerin Ida Faho, den Schauspielern Komi Togbonou, Martin Weigel und dem Puppenspieler Michael Pietsch fort. Jan-Christoph Gockel arbeitete mit den Schauspieler*innen Ramsès Alfa, Guy Hounou und Nancy Mensah-Offei weiter in Lomé.

Die Aufführungen verbinden die Kammerspiele mit verschiedenen Spielorten in Westafrika, beginnend in Lomé, Togo. Das Ensemble spielt an beiden Orten zugleich, steht über Live-Kameras in Kontakt. Auch das Publikum wird so miteinander verbunden und die Zuschauenden können über 4000 km Entfernung hinweg gemeinsam ins Theater gehen und erleben doch jeweils ihre eigene Version “Der Vision einer Rückkehr”.

Olivia Ebert

Mwazulu Diyabanza und das deutsche Kunstkollektiv Frankfurter Hauptschule nehmen die Restitutionsforderungen in die eigene Hand und die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der Sozialwissenschaftler Felwine Sarr erläutern, warum es berechtigt ist, ungeduldig zu sein, wenn es um die Rückgabe gestohlener Kulturgüter geht.

Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy wurde für ihren beharrlichen Kampf für die Restitution von Kulturgütern erneut mit einem Preis geehrt. In diesem aktuellen Interview spricht sie über ihren Weg zur Thematik, entkräftigt Argumente gegen die Rückgabe geklauter Kulturgüter und teilt ihre Meinung zu den ausführlichen Hintergrundinformationen, welche im Humbold Forum zu dort ausgestellten Kunstwerken zu lesen sind.

Eine Doku, welche sowohl Standpunkten und Meinungen, die in Europa zum Thema Restitution diskutiert werden, als auch verschiedenen Stimmen aus Afrika Gehör verschafft. Es werden Fragen zu der Herkunft und Beschaffung der gestohlenen Kulturgüter gestellt und diverse Personengruppen kommen zu Wort. Zudem wird diskutiert, welchen Stellenwert die Restitutionsdiskussion hat, wenn Themen wie Armut, Hunger und Korruption in ehemaligen Kolonien präsent sind.

In diesem kurzen Video reflektiert der ghanaische Regisseur Nii Kwate Owoo die Bedeutung der Herstellung und Verbreitung seines Films “You hide me” in den 70er Jahren und bewertet seine Relevanz heute, 50 Jahre später. Nii Kwate Owoo besucht im Film die unterirdischen Depots des British Museum und filmt die im Keller aufbewahrten, wertvollen afrikanischen Artefakte. Wir sind sehr dankbar, dass Nii Kwate Owoo uns erlaubt hat, seine Texte aus “You Hide Me” für die Stückentwicklung zu verwenden.

Zu den Feierlichkeiten des 100 jährigen Waffenstillstands an der Westfront und Ende des 1. Weltkriegs am 11. November 2018 in Paris sang die beninisch-französische Singer-Songwriterin und Choreografin Angélique Kidjo den Song „Blewu“ der togoischen Sängerin Bella Bellow vor einem Podium voller Regierungschefs und hochrangiger Politiker – ein Song als kraftvolle Anklage und zur Erinnerung an die westafrikanischen Kolonialsoldaten, die im 1. Weltkrieg für Frankreich gefallen sind.