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Programmheft "Gespenster - Erika, Klaus und der Zauberer"

„Frau Mann? Erika Mann?“
– Fragmente über „Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer“

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.“ – Thomas Mann

1969. Der letzte Sommer von Erika Mann. Erika ist Hausherrin und Verwalterin, wacht über die Erinnerung an Vater und Bruder. Und verliert sich in ihren eigenen. / „Ich bin ein bleicher Nachlaßschatten und darf hienieden nichts mehr tun, als Briefbände, Anthologien und dergleichen meiner lieben Toten herausgeben.“ – Erika Mann. /

Ein Geschwisterpaar taucht auf. Es will die Genehmigung, Klaus Manns Stück „Geschwister“ zu verfilmen. / „Das Schicksal der Geschwister ist Untergang.“ – Klaus Mann /

Im Zimmer gegenüber: Venedig. Ein älterer Mann will sexuelle Dienste von einem jüngeren kaufen. Er zögert, ist voller Angst vor der eigenen Courage. / „Begann gestern einen längeren Brief über T.i.V.(Tod in Venedig) und mein Verhältnis [zur] Homo-Erotik – verliebt in Klaus dieser Tage. Ansätze zu einer Vater-und-Sohn-Novelle. – Geistig rege.“ – Thomas Mann /

Familienaufstellung: Erika liebt ihren Vater, der Vater liebt Klaus und Klaus liebt Erika. / „Niemand, nichts ist zusammenhanglos. Unsere Schicksalskurve ist Teil eines gewaltigen Mosaiks, das durch Jahrhunderte hindurch dieselben uralten Figuren prägt und variiert. […] Die atavistischen Tabus und inzestuösen Impulse früher Generationen bleiben in uns lebendig; die tiefste Schicht unseres Wesens büßt für die Schuld der Ahnen; unsere Herzen tragen die Last vergessenen Kummers und vergangener Qualen.“ – Klaus Mann /

Der Vater als Über-Ich / als beherrschendes Element / als König eines Systems. /Empfinde wieder sehr stark, und nicht ohne Bitterkeit Z[auberer]´s völlige Kälte. Mir gegenüber besonders akzentuiert. Ich irre mich nicht.“ – Klaus Mann / Im Schatten des Über-Vaters verblasst die eigene Existenz. Die Nähe zur älteren Schwester ist existentiell. / Morgens, nichts als der Wunsch zu sterben – wenn nicht E[rika] wäre. Durch sie gebunden. Aber immer gewisser, dass E´s Tod sofort meinen nach sich zöge.“ – Klaus Mann /

Erika entgleitet dem Bruder. Schließlich tritt sie in die Dienste des Vaters. / „Mein Wunsch im Grunde, dass Erika als Sekretärin, Biographin, Nachlaßhüterin, Tochter-Adjutantin bei uns lebt.“ – Thomas Mann / Entscheidung für den Vater, gegen den Bruder. 1949 scheidet Klaus durch eigene Hand aus dem Leben. Erika fährt nicht zur Beerdigung.

„Waren wir doch Teile voneinander, – so sehr, dass ich ohne ihn im Grunde gar nicht zu denken bin.“ – Erika Mann

Sechs Jahre später stirbt der Vater.

Übrig bleibt Erika. Mit den Erinnerungen. Mit der Schuld. In ihrem Todesmoment, der in „Gespenster zu einer Familienaufstellung wird, die nie stattfinden durfte. Das Trauma wiederholt sich. Vollzug = Befriedigung = Erlösung = Tod. Erika trägt ihre Schuld, aber diesmal ist sie frei.

„Das Brunnenwasser scheint klar und durchsichtig in unserem Fall.“ – Erika Mann

Juliane Hendes

Katharina Bach in „Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer“ (Foto: Heinz Holzmann)

RAUM+ZEIT sind die Dramaturgin Juliane Hendes, Autor Lothar Kittstein, Regisseur Bernhard Mikeska und Bühnenbildnerin Steffi Wurster. In unterschiedlichen Konstellationen arbeiten sie seit 2009 zusammen. Die Inszenierungen des Künstlerkollektivs suchen nach der beunruhigenden Gleichzeitigkeit von Erinnerung und Gegenwart. Dabei bricht RAUM+ZEIT mit herkömmlichen Rezeptionsweisen. Statt geradlinige Geschichten zu erzählen, spielen die Theaterentwürfe des Kollektivs mit der Logik eines konsistenten Raum-Zeit-Kontinuums und der inneren Welt der Wahrnehmung.

Der letzte Brief von Erika Mann an ihren Bruder Klaus vor dessen Selbstmord

(gesprochen von der Schauspielerin Katharina Bach)

Schönster Stinkfisch, – ach, ach und dreimal oh! Gleich wollte ich – sehr natürlich – Dir schreiben, als die Hiobspost über deine finanzielle Lage, von mir mit so viel liebender Schlauheit seit einigem erwartet, hier angeklingelt kam. Und nun und nun und wirr und wirr? Doch zunächst zu meinem Sohn Scheißkragen. Wie du lebhaft realisieren magst, sind unsere Tage voller als jedes Maß, auch Bahr à la der bescheidensten Muße und sis, the shy one, leidet ein wenig, nicht, ohne dann doch wieder (da läutet ́s, – Ronald Hyde is in the hall, – to Holly old hell with him!) einen gewissen (nicht erheblichen) Spaß zu derivieren von all dem törichten Trouble. Derweil mitzumachen, wenn man selbst Gefeierte ist, ist leidig und ermüdend genug. Hockt man nicht im Zentrum, ist es noch anstrengender, wiewohl Z.s lieber und (dreimal geklopft) mysteriös dauerhafter gewaltiger Ruhm mir Spaß macht, und umso größeren, als er ihm in der Hauptsache unseretwegen einiges bedeutete. Alles bisher verlief triumphal und hat die alte Schnurrbutze auch wirklich alles sehr hübsch gemacht. Daß er nun dennoch wie zu erwarten stand, nach Deutschland rennt, freut mich natürlich wenig. Nun will ers auch immer noch diskutieren mit mir, – es mir »erklären« und schmackhaft machen, und ich muss mich weigern, einen Gesprächspartner abzugeben, der seinen (meinen, nämlich) Argumenten kein Gehör zu verschaffen wünscht. Da ich mich aber freundlich weigere, entstand kein Misston, – und nun ist es eben, wie es ist. Etwas sehr SCHÖNES hat sich zugetragen, indem nämlich anlässlich Z. ́s BBC Speech nach Deutschland ein Herr sichtbar wurde, der kürzlich in Düsseldorf gewesen war, wo er den Höfgen getroffen und gehört hatte, dass dieser sich vor seinem Edinburgh Gastspiel schier zutode fürchte. Fahren, sagte unser Gustaf, müßte er nun wohl, da die Engländer (Statement true!) ihn so sehr gebeten; sollte aber Erika anwesend sein, müßte er stehenden und wankenden Fußes wieder abreisen. Und dies, – all Mail to Chance – erfuhr ich am Tage vor Z. ́s lecture in der university, von welcher eine Art Stimmungsbild nach D gebroadcasted ward und einem zwanzigsekündigen Interview mit Erimaus, unsere unmittelbaren Reisepläne betreffend. Kannstadenka, dass ich keine Sekunde verlor und gleich wissen ließ, ich ginge nach Edinburg zu den Festspielen. Und jetzt hat also der arme, jrundjrundhäßliche Mensch keinen ruhigen Augenblick mehr. Nett, – gellja? Habe im übrigen nicht vor, viel zu reden, in Bezug auf deine mich doch sehr betrübende Erkrankung. Nur, dass ich froh bin, weil du dich relativ früh entschlossest und zu allen mir erinnerlichen Göttern bete, du möchtest es jetzt genug sein lassen, des grausamen Spiels, sei statuiert. Hat ja doch, mein sehr Lieber, nicht den gerüngsten Sinn und ist nur dazu angetan, größt Ungemach zu bringen über Dich und die Deinen und über die auch, die gerne mal was Hübsches lesen. Ob du denn zu irgendeinem Zeitpunkt, seitdem du mir in Inglewood dies und das versprachst, ein bisschen Glück gehabt hast, mit der Arbeit? Jetzt bist du sehr natürlich reduziert und verderblich und, wenn’s nicht gleich geht wie aus der Pistole geschossen, redest du dir ein, es gehe überhaupt nicht, und das reduziert und verdrüßt dich dann um ein Vielfaches; wenn ich mir ́s nur nicht so haargenau vorzustellen vermöchte! Lass uns doch recht bald zusammenfahren, uns zusammen setzen und ein wenig gesunden fun haben, damit du dich erholst. Muss mit Z. Zum Teufel. Schließe daher abrupt, damit noch die envelope endlich zu Kasten geschlagen werde. Tausendfaches für Doris, der ich sehr für ihren so hochwillkommenen Bericht danke. Totaliter und mehr: Ümpf. Immer deine Sis E.

Die Ausstellung „Erika Mann. Kabarettistin – Kriegsreporterin – Politische Rednerin“ in der Monacensia im Hildebrandhaus. Die Ausstellung erzählt vom Leben und Werk Erika Manns (1905–1969) und rückt ihr konsequentes Eintreten für Freiheit und Demokratie in den Mittelpunkt.

Einen virtuellen Besuch ermöglicht die Plattform „Künste im Exil“

Comic-Dokumentation „Erika Mann in der Monacensia und der Bloggerwalk“ von Illi Anna Heger

„Vernetzungsaktion Erika Mann: Anstand, Freiheit, Toleranz“
(mit Fotos und Blogbeiträgen)

Münchner Stadtbibliothek

Klaus Mann. Videobeitrag

Roberto Rossellinis Filmklassiker „Paisà“ (1946) erzählt von der Befreiung Italiens vom Faschismus. Auch der deutsche Schriftsteller Klaus Mann war daran beteiligt. Doch sein Drehbuch wurde nie realisiert. Ein kurzer Videobeitrag über seinen letzten literarischen Text, mit historischen Fotografien.

 

Zum Videobeitrag

„Die Einsicht in das Unbewußte“

Vortrag von Anna Freud über Kindheit und Außenwelt

Österreichische Mediathek
UA
Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer
Von RAUM+ZEIT • Regie: Bernhard Mikeska