Theaterkasse
Maximilianstraße 26-28
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Von Gina Penzkofer & Sebastian Reier
Kulturinstitutionen sind es gewohnt, Impulse in die Gesellschaft zu senden. Diese wiederum stammen aus einem bürgerlichen Milieu und haben sich über Jahrhunderte nur an dieses gewandt. Das fällt besonders auf, wenn Vertreter*innen von Kulturinstitutionen mit Unverständnis auf Diskriminierungsvorwürfe reagieren. Sie sind es gewohnt, eine scheinbar objektive Instanz zu sein und selber zu entscheiden, was Diskriminierung ist und was nicht. Diese vereinfachte Position ist überholt. Unsere Gesellschaft ist in ihrer Vielstimmigkeit lauter geworden. Das bildet sich bestenfalls in Institutionen und deren internen Besetzung ab. Denn Diskriminierungserfahrungen sind selten objektivierbar. Sie hängen stark von der Perspektive der Betroffenen ab. Anstatt wichtige und oft junge Stimmen zu silencen, empfehlen wir, vor dem Senden erstmal auf Empfang zu schalten — denn von unterschiedlichsten Perspektiven können alle lernen. Und geht es nicht ohnehin darum, dass sich Menschen in eurer Gegenwart wohlfühlen? Und ist es nicht wunderschön, dafür über Schatten zu springen? Dieser Gedanke geht zu oft verloren. Antirassistisch zu kuratieren heißt lernen wollen und müssen. Und wo gemeinsam gelernt wird, da wird auch Gemeinschaft aufgebaut und gestärkt.
Überhaupt: Wieso klingt „ich kümmere mich um“ so viel angenehmer, als „ich kuratiere“? Beide Aussagen haben die gleiche Bedeutung, nur hat sich letzterer Begriff hin zum Machtvollen verschoben. Und diese Macht führt meist zu einer hegemonialen Auswahl — was ja auch logisch ist. Eine Person kann keine Vielschichtigkeit durch einseitiges Entscheiden generieren. Vielleicht sind wir empfindlich, aber wenn wir die Aussage „ich kuratiere“ hören, dann hören wir ein unausgesprochenes „und du nicht“ im Nachhall. Fragt doch mal nach in den Umfeldern, die von soziologisierenden Kulturschaffenden gerne als »Communities« bezeichnet werden. Gebt die in dieser Bezeichnung wohnende Deutungshoheit ab und lernt Individuen kennen. Seid mal leise, hört wirklich zu und spürt, wem ihr bei der Umsetzung einer Veranstaltung helfen könnt und vor allem: Macht das immer wieder aufs Neue. Wenn wir es zusammen gut machen, dann werden wir schon eine »Community«. Und die zeichnet sich durch gemeinsames Arbeiten aus, jenseits externer Zuschreibungen wie Herkunft, Religionszugehörigkeit, oder Hautfarbe.
Es gibt kein Universalrezept. Jedes Format, jede Institution und jedes Interimsprojekt erfordert stetig neues Hinterfragen und Austarieren von Bedürfnissen, Bedingungen und Möglichkeitsräumen. Kuratieren ist im Bestfall eine sich ständig wandelnde, agile Aktivität: Werde ich als Gastgeber*in gebraucht? Bin ich hier Sprachrohr oder Multiplikator*in? Braucht es mich als Ideengeber*in? Vermittle oder vernetze ich hier? Bin ich stille*r Zuhörer*in und Lernende*r oder…? Oder stelle ich die von mir vertretene Institution schützend vor Menschen, die politisch verfolgt werden?
Es geht darum, Freiräume und Leerstellen zu schaffen — insbesondere bei der Programmplanung. Der Trend in der Kulturlandschaft verstetigt sich zu vollgestopften Spielplänen und zahllosen Sonderformaten. Aber wie soll Vielschichtigkeit und Teilhabe generiert werden, wenn weder Platz für spontane Ideen von Personen außerhalb der Institution noch für sich aus Gesprächen entwickelnden Projekte vorhanden ist? Nur wenn diese Leerstellen in der Planung spontan und agil gefüllt werden, kann Vielstimmigkeit und aktives Mit- und Umgestalten aufleben und wirklich sichtbar und spürbar werden. Wie viel reicher, komplexer und wesentlich spannender kann Kultur sein, wenn wir den Fokus auf subjektive Erfahrungen und Perspektiven legen und uns darum kümmern, diese mit ins Programm einzuweben?
Antirassistisches Kuratieren bringt die Forderung mit sich: Kuratiert Euch nicht zu Tode, sondern hört zu! Raus aus dem bequemen theoretischen Planen hinter verschlossenen Türen. Nur Mut — antirassistisches Handeln ist immer ein kooperatives Handeln!
Und doch ist die folgende Beobachtung leider kein unwesentlicher Teil gruppenbezogener Praxis und ist sehr ernst zu nehmen: Gerade im rassismuskritischen Kontext wirken mitunter Menschen, die kein Interesse an der Überwindung der von ihnen kritisierten Zustände haben. Manchmal sind dies die lautesten Stimmen. Und noch öfter machen sie sich dadurch bemerkbar, dass sie ständig Urteile über ihre Mitmenschen fällen. Gerade moralisch wichtige Arbeit bringt sowohl ein gesundes Maß an Identifikation, aber manchmal auch Überidentifikation mit sich. Immer akribischer wird nach der Reproduktion der kritisierten Zustände gesucht, vielleicht weil der Status Quo die vermeintliche Sicherheit gibt, weiterhin eine starke Stimme zu sein. Wenn jedoch die Arbeit einer Gruppe dadurch gestört wird, dass persönliche Konflikte mit strukturellen Problemen vermischt werden, wenn Monate vergehen und sich nichts bewegt und die motiviertesten Gruppen in den Zustand der Selbstzerfleischung geraten — dann schützt eure wertvolle Arbeit: Die Überwindung von Rassismus ist unser Job, egal wie weit der Weg ist und dazu gehört es auch, sich selbst manchmal zurückzustellen.
Gina Penzkofer und Sebastian Reier kümmern sich um den Habibi Kiosk der Münchner Kammerspiele. Der Kunst-Kiosk befindet sich auf der Luxusmeile Maximilianstraße und erforscht die Frage, wie eine Gemeinschaft mit aktiver Teilhabe funktioniert. Er verfügt über ein durchlässiges Fenster in die Kammerspiele und dient als Raum für viele Perspektiven, für Gespräche, Austausch und Zusammensein.
Der Text ist im Original HIER erschienen.